„Keine Taten ohne Daten!“
Ziemlich beste Feinde
Nur wer die Datenflut des Internets intelligent zu nutzen weiß, kann individualisiertes Wissen über seine Kunden zum Treibstoff fürs Neugeschäft machen. Besonders technische B2B-Betriebe können davon überproportional profitieren. Vorausgesetzt, Vertrieb und Marketing lernen, endlich an einem Strang zu ziehen.
Erwin Eifrig macht niemand etwas vor. Als alter Hase im Vertrieb von Büromöbeln pflegt er nicht nur seine Stammkunden, er weiß auch, wie er Neugeschäft generiert. Bei regelmäßigen Ausfahrten in die Gewerbegebiete seiner Region findet er immer ein paar Baustellen und weiß: Hier kann ich bald meine Möbel verkaufen.
Erwin Eifrig kommt gut zurecht.
Erwin Eifrig braucht kein Marketing.
Sonja Sonnenschein ärgert sich über Erwin Eifrig. Für die letzte Fachmesse hatte ihre Marketingabteilung eine coole Messe-App entwickelt. Leider hat diese nicht funktioniert, sagt Erwin. Doch dann stellt sich heraus, dass weder er noch seine Vertriebskollegen den Versuch unternommen hatten, sich in die App einzuloggen – denn Erwin Eifrig braucht kein Marketing.
Gut erfunden? Nein, direkt aus dem realen Leben gegriffen.
Die Namen der Handelnden sind erfunden, doch die geschilderten Ereignisse haben sich im Agenturleben des Autors exakt so zugetragen. Noch immer stehen sich mit Vertrieb und Marketing vielfach konträre Denkschulen gegenüber. Das Verhältnis reicht von Ignoranz bis zu offenem Misstrauen. Dabei haben eigentlich beide die gleiche Aufgabe: zu verkaufen.
Gerade technikgetriebene B2B-Betriebe interpretieren Vertrieb oft noch als reine Bestandskundenpflege. Marketing hingegen ist dekoratives Beiwerk. Das Problem dabei ist: Nichts bleibt von der allgegenwärtigen Digitalisierung unberührt und so wandelt sich auch der Vertrieb derzeit zu einer digitalen Disziplin. Thomas Barsch vom Stuttgarter Start-up „pionierfabrik“ definiert Digital Sales als „Keine Taten ohne Daten“. Marketing lebt schon länger in der Datenwelt: Aus CRM wird gerade Account Based Marketing (ABM) [1] – in den USA sind bereits über 80 Prozent der B2B-Unternehmen in ABM aktiv, Tendenz stark steigend [2]. Allen Instrumenten gemeinsam ist die Ableitung individueller oder globaler Maßnahmen aus einer möglichst breiten Datenbasis.
Und nun passiert etwas, dass die Welt von Erwin und Sonja grundlegend verändert: Die zuvor in den Abteilungen getrennt eingesetzten Instrumente für Marktanalyse, Leadgenerierung und Markenkommunikation werden miteinander vernetzt:
Marketing und Vertrieb werden eins!
Wer sich die erfolgreichsten Unternehmen unserer Zeit vor Augen führt, stößt auf durchdigitalisierte Konzepte, die sich einer Abteilungslogik klassischer Prägung entziehen. Das gilt beileibe nicht nur für IT-Unternehmen. Derzeit geht etwa der niederländische E-Bike Hersteller VanMoof durch die Decke. Das einzige Produkt ist ein schickes Designfahrrad. Die Süddeutsche Zeitung nennt es das „iPhone unter den E-Bikes“. Design, Marketing und der Vertrieb über exklusive Flagship-Stores sowie eigene Onlinekanäle bilden eine strategisch konzipierte Einheit. Einziger Fokus: der einzelne Kunde mit seinen Bedürfnissen. So ist der GPS-gestützte Diebstahlschutz am Bike ebenso wichtig wie der Service, ein dennoch entwendetes Rad durch sogenannte Bike-Hunter aufspüren zu lassen. Und bei Misserfolg erhält der Kunde eben ein neues Rad!
Wer zieht hier noch eine Grenze zwischen Vertrieb und Marketing?
Erfolg braucht ganzheitliche Konzepte. Klassische Abteilungslogik verhindert ihn.
Wie sehr die althergebrachte Lagermentalität aus der Zeit gefallen ist, macht auch folgendes Beispiel deutlich: Für seinen Erfolg braucht der Vertrieb oft ein perfektes Timing beim Kunden. Doch das ist schwierig von außen einzuschätzen – besonders bei neuen Leads. Hier hilft sogenanntes Trigger Marketing. Es sucht im Web nach Ereignissen, die typischerweise Vertriebschancen nach sich ziehen: Wurde ein neuer Einkaufschef installiert, lassen sich bestehende Lieferverträge ablösen. Wer Vertriebler einstellt, erweitert vermutlich auch seine Fahrzeugflotte. Wer öffentlich sein ökologisches Image betont, dem kann man E-Bikes für die Mitarbeiter verkaufen.
Derartige Trigger-Events lassen sich im Web crawlen und analysieren. Damit munitioniert adressieren ihre Vertriebler zielgenau die richtigen Themen beim Interessenten.
Weil Sie es WISSEN!
Denn Marketing liefert ihnen nicht mehr nur bunte Bilder, sondern stattdessen Informationen über Markt und Kunden.
Erwin und Sonja werden also liebgewonnene Stereotypen überwinden und zueinander finden müssen. Sonst wird Erwin Eifrig nämlich feststellen, dass seine Ausflüge ins Gewerbegebiet immer häufiger zu spät kommen. Etwa weil das Münchener Unternehmen Building Radar über Bilderkennungssoftware weltweit Satellitenfotos analysiert. Das Ergebnis: Baustellen von Dortmund bis Doha, von Stralsund bis Seattle.
Building Radar-Kunden wie Vitra, Vissmann und Schüco brauchen Erwin Eifrig nicht mehr. Erwin sollte sich besser bald mit Sonja Sonnenschein zusammenraufen.
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Fußnoten: